FORSCHUNGSSETTING 02

DAS INSTITUT FÜR FALSIFIKATE IN VELES, NORDMAZEDONIEN

Es ist Ende Januar. Wir landen mit dem Flugzeug in Pristina im Kosovo. Es liegt Schnee und ist sehr windig. Wir steigen ins Taxi und fahren zum Busbahnhof. Bezahlen, steigen aus. Ein Mann liegt auf einem Karton auf dem Boden. Er flucht und betet abwechselnd. Es ist sehr kalt. Wir trinken Kaffee im Bahnhofsgebäude. Er kostet 20 Cent. Im Kosovo gibt es den Euro, obwohl Kosovo kein Mitglied der EU, sondern ein potenzieller Beitrittskandidat ist. Wir versenden einen Brief mit der kosovarischen Post nach Hamburg, das kostet 8,20€. Der Bus, der uns nach Skopje bringt hat ein sehr langes 50 cm breites Fenster geladen. Das Fenster liegt im Gang zwischen den Sitzreihen. Wir fahren los und hören die besten Hits aus ca. 35 Jahren Radio.




Am späten Abend steigen wir in Skopje am Busbahnhof aus. Es ist eiskalt im Winter auf dem Balkan. Die Dächer sind Schneebedeckt, die Wege und Plätze vereist. Wir laufen Richtung Stadtmitte mit dem Ziel: Makedonija Street. In den Stadtteilen Skopjes wird die Geschichte durch in der Architektur auffällig ablesbar: in den jugoslawischen Platten, den osmanischen Bürgerhäusern und Tekken, den Basaren, den Einfamilienhäusern. Im Stadtzentrum mäandert der Vardar. An seinem nördlichen Ufer strahlen sehr weiße neohistorische Fassaden mit dem Schnee um die Wette. Der neue Stadtkern mit den Skelettbauten und den neohistorischen Fassaden befindet sich im Südteil der Stadt. Hier gibt es einen kürzlich errichteten Arc de Triomphe, riesige neobarocke Museumsbauten und mehrere weiße Brücken auf deren Geländer sich Jugendstil-Laternen mit bronzenen Skulpturen abwechseln. Wir kommen zu einem Platz am Ufer der Vardar. Ziel erreicht: Wir stehen auf dem Hauptplatz der Makedonija Street im Stadtzentrum. Vor uns thront eine riesige neue Statue von Alexander dem Großen auf einem säulenfömigen Sockel im neogriechischen Stil. Die Skulptur ist so hoch wie ein dreigeschossiges Gebäude. Sie wird farbig beleuchtet. An den neohistorischen Fassaden der Tempelbauten sind zwischen den Säulengängen riesige Monitore eingebaut. Zwei historische Neubauten spielen gleichzeitig Telekomwerbung ab. Über den Platz hallt die dazugehörige klassische Musik. Skopjes Stadtkern scheint selbst ein Fake zu sein – seine Architektur, eine zu weiße und zu junge Kopie einer europäischen Barockstadt als, dass wir sie als eine historisch gewachsene Stadt anerkennen würden. Wir sehen Skopje durch die Brille der Fälschung.




Diese pompösen Bauten in der Innenstadt sind Teil des Städtebauprojektes namens Skopje 2014. Das Projekt der Regierungsartei VMRO-DPMNE prägt einen neuen Innenstadtkern für Skopje mit einer neuen nationalen Narration. Die Bauten und Skulpturen verschieben, justieren und prägen seit 2008 neue Mythen für den sehr jungen Nationalstaat Mazedonien. Die fake-barocken Bauten, die klassizistischen Skulpturen wirken als neue Logos für Mazedonien. Sie sind die Kulisse für neue nationale Mythen.  




Das Nation-Branding-Projekt Skopje 2014 provoziert seine Nachbarn durch seine Querverweise und Narrationen. Griechenland erregt sich über die faux-klassizistische Alexanderstatue auf dem Hauptplatz. Die albanische Regierung richtet an das Nachbarland eine Demarche, weil der Triumphbogen mit der namensprägenden Gravur Makedonija auf die gesamte historische Region Makedonien verweist, zu der sowohl Regionen des heutigen Albaniens, als auch des nördlichen Griechenlands zählen. Die Errichtung der Zar-Samuil-Statue verschlechtert die Beziehungen zum östlichen Nachbarn Bulgarien.

Skopje 2014 wird international als ein monoethnisches Projekt kritisiert, weil es die vielfältige Gesellschaft Nordmazedoniens nicht abbildet. Die 42 Skulpturen und Bauten des Projektes zeigen weder die albanische Helden Mazedoniens, noch wird die drittgrößte religiöse Community Nordmazedoniens sichtbar: die Muslime. Für den früheren Ministerpräsident Ljubčo Georgievski ist Skopje 2014 eine »große Karikatur«, mit »historischen Kitsch.« Auch die Oppositionellen Nordmazedoniens wehren sich mit Farbbeuteln. Sie passen die Fassaden der Gebäude an die bunte Zukunft des Staates an.  Das Städtebauprojekt kann als Repräsentation von Aneignungskämpfen gelesen werden. Mit den Gebäuden wird um die Deutungsmacht von staatlichen Institutionen, Diskursen und Politiken gekämpft.

Wir gehen ins Hotel. Am nächsten Morgen spazieren wir eine Runde durch die Stadt. Wir überqueren die Kamen-Most-Brücke über dem Vardar abermals. Auf einer Anhöhe nahe dem nördlichen Ufer des Vardar stoßen wir auf den Basar. Es befindet sich unweit des weißen neu herausgeputzten Stadtkerns mit seinen Mediafassaden und Säulengängen. Wir schlittern und laufen kleines Schrittes langsam über die Eisoberfläche durch die schmalen Gassen. Hier stehen osmanische Bürgerhäuser und alte Tekken zu Restaurants umgebaut. Der Basar ist offensichtlich eine Touristenattraktion. Es gibt gewebte Teppiche, sehr viel Schmuck mit sehr vielen glitzernden Steinen, Taschen aus Polyurethanleder mit großen Designernamen darauf. Unser Blick trifft auf Chanel Fakes und Gucci Fälschungen billige Kopien und originale Handarbeit. Auf dem Rückweg vom Basar nachdem wir durch die jugoslawischen Plattenbausiedlungen des Stadtviertels Aerodrom, vorbei an Bäckereien, den Obst und Gemüseläden gegangen sind, kaufen wir am Busbahnhof Tickets für die Fahrt nach Veles. Dauer 1 Stunde 05 Minuten. Entfernung nach Veles meistens 59 Kilometer. Auf dem Busbahnhof decken wir uns ein. Es gibt Superstarschokolade für uns und unsere Inteviewpartner.


Später kommen wir in Veles an. Veles liegt im Landesinnern von Mazedonien. Es ist eine Transitstadt auf der Hälfte der Strecke zwischen Skopje und Thessaloniki. Wir sind vorbei an Industrieruinen durch die Täler Mazedoniens gefahren. Die Sonne scheint für eine kurze schöne Weile. A. holt uns vom Bahnhof mit dem Taxi ab. A. ist 38 Jahre alt, ist sehr dünn und groß. Wir fahren zu ihm nach Hause. Das Haus liegt am Ende einer schmalen Straße auf dem Berg. Der Weg ist steil und die Straßen sind vereist. Der Taxifahrer hat sich daran gewöhnt. Wir steigen aus. Das Haus hat zwei Etagen, die über eine Außentreppe miteinander verbunden sind. Unten wohnt der Vater, oben A. Die Mutter ist schon gestorben. Das Haus ist sehr karg eingerichtet, grau in grau. Auf dem Boden liegen Teppiche quer übereinander. Eine Tischgruppe aus dunklem Holz mit vier Stühlen steht im Raum, eine fichtefarbene Kommode, ein graues Sofa, daneben eine Monsterapflanze. Es riecht nach Kohle, Rauch und Feuerholz. Überall.


Wir fahren zum See, der am Rande der Stadt inmitten der Berge liegt. Er trägt, wie die Berge, Straßen und Dächer eine dicke Eis- und Schneeschicht. Am Abend bereitet sich A. darauf vor Blogeinträge für sein amerikanisches Klientel zu schreiben. Ein Nachtbusiness. Wie alle Blogger aus Veles postet er die Links zu seinen Blogeinträgen mit 6-8 Stunden Zeitverschiebung auf Facebook. Neben unseren Betten springt alle 5 Minuten ratternd der Standradiator an und beginnt orange-rot zu glühen. 3 Minuten später geht er wieder aus. Das Zimmer bleibt trotzdem kalt.  Wir hüllen uns in Decken und flüchten uns auch ins Internet.




Wir gehen weiter ins Stadion, in die Sportcafés, in die Kirchen und den Park. Am Abend treffen wir A. im Café wieder. Wir trinken frischgepressten Orangensaft. A. berät mit dem Barkeeper, ob er uns Auskunft über seine gut zahlenden Gäste und deren Websites geben möchte. Der Barkeeper ist sehr jung, sehr nett und ein wenig schüchtern. Wir verabreden uns für den nächsten Tag um 11 Uhr.

Am nächsten Morgen treffen den Barkeeper bei einem Kaffee wieder. Er möchte uns seinen Namen nicht verraten, gibt aber Auskunft über Partys und Champagner, die aus dem Erlös der Fake News finanziert werden. Er berichtet von Blogs und Websites, die seiner Meinung nach nur Nonsens enthalten. 
Am nächsten Morgen Zähneputzen bei 2 Grad im Badezimmer. A.s Vater wird operiert. Wir drücken die Daumen und gehen in die Stadt. Zum Bäcker, ins erste, zweite, dritte Café.

Alle kennen die Fake News Stories aus den Zeitungen. Fast alle Jugendlichen, die wir ansprechen kennen jemanden, der ein Fake Blog betreibt. Unsere Gesprächsschnipsel werfen immer wieder Fragen auf. Sind Stolz, Rache, Ruhm & Macht die Antriebskraft der Blogger? Oder sind es wirklich nur ökonomische Gründe weshalb Jugendliche Fake News verbreiten? Liegt die Antwort vielleicht dazwischen? Spielen nicht auch hier Gründe wie Politikverdrossenheit, Abstiegsangst, Populismus neben dem omnipräsenten Nationalismus eine entscheidende Rolle? Umbruch, Politikverdrossenheit, Abstiegsangst und Fremdenhass: das kennen wir doch von zu Hause. In welchem Zusammenhang steht der gesellschaftliche wie wirtschaftliche Zusammenbruch Jugoslawiens und die Korruption der neuen Regierung mit den Fake News Bloggern?  Und welche Bedeutung hat die Flüchtlingskrise für die Blogger aus Veles – schließlich ist Idomeni nur eine Busstunde entfernt. Wir erfahren, dass die Zugstrecke zwischen Veles und Thessaloniki, die natürlich auch wirtschaftlich einen entscheidenden Impact hatte, stillgelegt wurde. Idomeni ist gerade einmal 100 km entfernt.



Die Ergebnisse der Recherchereise werden im Mai 2017 auf K3 | Kampnagel in Hamburg in der Installation Show me your Agenda präsentiert. 
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