FORSCHUNGS
SETTING 01


DAS INSTITUT FÜR FALSIFIKATE IN LOS ANGELES

MacArthur Park, East Los Angeles, historische Aufnahme.



und komme bei Selecto Plaza an.

Der Swap Meet befindet sich im Bezirk Westlake an der East 6th Street. Chicanos bilden die Mehrheit der Bewohner*innen, viele von ihnen leben und arbeiten ohne Aufenthaltsgenehmigung. Seit den 1980er Jahren wird der Bezirk als ein Zentrum von (Waffen-)Kriminalität, Passfälschungen, Drogenkonsum und Migration stigmatisiert.



Im Untergeschoss des Swap Meet Selecto lag der von zwei Künstler*innen geleitete Projektraum. Seine Wände aus verschiebbaren Platten sind Teil einer mobilen Architektur, die verrät, dass Räume, Zuordnungen und Bereiche flexibel gestaltet werden können. Die mobile Architektur der Shopping Mall verweist damit auch auf die Unbeständigkeit der Shops, deren Einrichtung oft ebenfalls provisorisch ist. Der Swap-Meet ist ein Community-Ort. Für die Mieter*innen der Shops sind die Läden und Garküchen nicht nur Arbeitsstätte, sondern bilden gleichzeitig auch einen Wohnraum: Kinder machen hier ihre Hausaufgaben im Laden der Eltern, Familien essen gemeinsam zu Mittag, schauen sich Filme an und laden sich gegenseitig ein. Dementsprechend bestimmt der Alltag der Verkäufer*innen das Bild des Swap Meet genauso, wie die darin ausgestellten Waren.

Dadurch, dass die Praxis der Fälschung im »Schutzraum der Kunst« erprobt und verhandelt wird, sollen am Ort der Täuschung Szenen entworfen und erfahrbar gemacht werden, mittels derer die Phänomene Fake und Fälschung als umgekehrte Wissensfiguren der Bürger*innenschaft selbst in den Blick genommen werden können. Von Anfang an, war esdabei die Zielstellung des Projektes, die Ergebnisse der Forschung im Kunstraum zu präsentieren und dabei zu zeigen, inwiefern Dokumente und Artefakte Teilhabe und Ausschluss von Bürger*innenschaft organisieren.
Der Forschungsprozess war maßgeblich von Gesprächen geprägt. Ich habe neun lange und etliche kürzere informelle Gespräche mit Verkäufer*innen, Kund*innen und Künstler*innen geführt. Aus ihnen geht hervor, dass der Kontext des Ortes, das eigene In-der-Welt-sein hinsichtlich der Themen und Anlässe für Fälschungen prägend ist. Im Fokusstand die Unsicherheit der Kollaborand*innen hinsichtlich Aufenthaltsgenehmigung,Citizenship-Status und Bleiberecht. Deutlich wurde aber auch, dass die Kollaborand*innen,weder über die nötige Sicherheit noch über die Zeit verfügten, gemeinsam Fälschungen und Fakes anzufertigen, die neue Realitäten schaffen und andere Formen der Bürger*innenschaft adressieren können. Anders gesagt: Das Ziel der Forschung, das darin bestand, neue und
andere Repräsentationen von Bürger*innenschaft zu erschaffen, scheiterte. Denn im Forschungsprozess wurden die Ambivalenzen des Projektes deutlich: Durch die Verwendung der prekären Forschungsmethode Fake und Fälschung hat sich gezeigt, dass Fälschungenzwar im Kunstraum als eine etablierte künstlerische Werkform ausgestellt werden können,aber (wenn überhaupt) dann nur unter der Autor*innenschaft von Künstler*innen, die sich des Fakes als eine etablierte Methode künstlerischen Schaffens bedienen können, während die (Nicht-) Bürger* innen von diesem Privileg der Kunstfreiheit ausgeschlossen sind.



[2] Der Fokus der künstlerischen Forschungen des IFF liegt nicht auf den spektakulären Fälschungsfällen – im Gegenteil: Im Mittelpunkt der Analyse stehen Alltagspraktiken, die für die kulturelle Praxis von Bürger*innenschaft konstituierend erscheinen. Das IFF spricht aus einer künstlerischen Position, untersucht aber keine Gemäldefälschungen oder andere gefälschte künstlerische Artefakte. Die künstlerische Forschung des IFF beschäftigt sich mit einer Fälschungspraxis, die nicht erst mit fortschreitender Digitalisierung alltäglich geworden ist: Das IFF untersucht Fälschungen und Fakes, die von Bürger*innen hergestellt werden, um in die Politiken der Gesellschaft einzugreifen.Bürger*innenschaft wird hier demnach nicht alleine als ein Mitgliedschaftsstatus verstanden, sondern als eine Form der Teilhabe. Das bedeutet, dass Bürger*innenschaft in verschiedenen Praktiken und Diskursen permanent verhandelt wird und so ggf. auch Akte hervorgebracht werden, die die Protokolle der Bürger*innenschaft nachhaltig verändern. Engin Isin bezeichnet solche Akte als »Acts of Citizenship«, die auch durch ein so- tun-als-ob, ein »Fake it, until you make it« verhandelt werden, wenn Bürger*innen so über Rechte verfügen, als ob sie diese bereits hätten. Das Wirkungsvermögen dieser Praktiken, zeigt Isin etwa am Beispiel von Rosa Parks widerständigem Sitzen-bleiben, das schließlich auch den Montgomery-Bus-Boykott einleitete.

Ich entschließe mich, meine Rolle als Forscher*in und Künstler*in zurückzustellen und versuche mich in den Dienst der Akteur*innen und Aktanten zu stellen. Für den Fortgang meiner künstlerischen Forschung im Swap Meet bedeutete dies, gemeinsam ein Fake-Hochzeit-Fotoalbum zu inszenieren, basierend auf den Erzählungen und Erfahrungen der Kollaborand*innen vor Ort. Im temporären Büro des Institutes für Falsifikate bestellt B., ein 34-jähriger Mann, ein Reenactment seines verloren gegangenen Hochzeitsalbums. Das originale Album war bereits eine Fälschung, die als Beweis ein falsch-positives Zeugnis für eine Fake Marriage, eine Schutzehe erbringen sollte. Die in ihm enthaltenen Fotos (Abb.1) dokumentierten keine lange Beziehungsgeschichte. Sie waren das Ergebnis eines 24-stündigen Fotoshootings, das an verschiedenen Orten in Kalifornien und Nevada stattgefunden hatte. In Kooperation mit dem IFF stellten wir ein Reenactment des verlorengegangenen Albums her, das durch das Logo des IFF als Fake ausgewiesen ist. Dieses Album wurde im temporären Büro des IFF, in der Galerie Selecto Planta Baja ausgestellt und damit zum Kunstobjekt. Heute hat das Album den Status eines Souvenirs. Für B. ist es eine Erinnerung an die Frau, die er geheiratet hat und an das Reenactment, an dem er teilnahm.
Das Album diente einem Kollaboranden als Souvenir. Es erinnert ihn an eine Fake Marriage, die er eingegangen war; das Hochzeitsalbum des Paares ging verloren. Die künstlerische Fälschungsforschung wurde konkret in einem Reenactment eines bereits gefälschten Hochzeitsalbums umgesetzt. Anschließend wurde das gefakte Fotoalbum im Swap Meet ausgestellt, um eine »andere Geschichte« der Schutzehe zu erzählen. Unsere Annahme war es, dass Fotos, die eine Vertrautheit und Nähe suggerieren, durch ihr Ausstellen als Fake, Fragen danach aufrufen, wie die Glaubwürdigkeit einer Ehe inszeniert werden kann. Verhandelt wird dabei, wie sich eine inszenierte Ehe, die nicht auf dem Ideal der romantischen Ehe beruht, von einer legalen Form der Eheschließungunterscheidet. Kurz, wann ist eine Ehe echt, wann unecht? Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, war es das Anliegen dieser kollaborativen Forschung, durch das Ausstellen undSichtbarmachen von Fakes, die Lücken, Bruchstücke und Bedürfnisse zu beleuchten, die fernab des juridischen und sozialen Regelkatalogs hinsichtlich der Institution der Ehe existieren und diese mittels des Reenactment des Albums umzudeuten. Was dieseUntersuchung interessant macht, ist also weder ein gewiefter Täuschungsprozess noch eine geniale Täuschung, sondern vielmehr die Frage danach, ob – und falls ja, wie – durch Fakes und Fälschungen Brüche und Umdeutungen in der Wahrnehmung hervorgerufen werden können.

Das Fotoalbum, das dem beschriebenen Reenactment vorrausgeht, war zunächst nicht als Fake angelegt, sondern stellte eine Fälschung dar, die B.s und M.s Hochzeit und Beziehung dokumentiert. Als B., ein 34-jähriger amerikanischer Staatsbürger mit marokkanischen Wurzeln bei uns das Hochzeitsalbum in Auftrag gab, war die Hochzeit, aus der das Album resultierte, bereits 8 Jahre her. Sein damaliger Chef, der Inhaber einer Baufirma, bei der er arbeitete, fragte B., ob er dessen Schwägerin heiraten könne. Die Familie von B.s Chef wurde bei einem Unfall schwer verletzt und die Schwägerin von B.s Chef machte sich kurze Zeit später aus Serbien auf den Weg, um ihre Nichte und Schwester zu umsorgen. Zu dem Zeitpunkt als B. von seinem Boss um die Heirat gebeten wurde, lief das Visa der Schwägerin aus. Eine Verlängerung wurde abgelehnt. Nach zehn Minuten Bedenkzeit schlägt B. ein. Für sein Einverständnis erhält er 5000 Dollar. Das Paar heiratet in Las Vegas. Nach der Zeremonie haben beide nur noch sporadisch miteinander Kontakt; sie kennen sich zu diesem Zeitpunkt kaum.






Monate später werden sie von der Immigrationsbehörde aufgefordert, Auskunft über die Echtheit ihrer Ehe zu geben. Innerhalb von 24 Stunden erstellten sie ein Hochzeitsalbum, das darauf angelegt war, die Echtheit ihrer Beziehung zu bezeugen. Dieses Album ging später verloren. Heute sind beide nur noch auf Facebook befreundet. Die Fotografien des verlorengegangenen Albums dokumentierten inszenierte Dates, in Cafés, im Park, in Bars und zeigen Bilder von der Hochzeitszeremonie, wie B. uns schilderte.




Im Büro für Falsifikation in der Galerie Selecto Planta-Baja liegt das in Auftrag gegebene Reenactment des Albums, das nunmehr den Status eines Fakes hat, auf einem Tisch. Bei der Ausstellungseröffnung treten Betrachter*innen in den kleinen Galerieraum ein. Anders als großflächige Gemälde oder Skulpturen kann das Album nur in Kleinstgruppen angeschaut und umgeblättert werden. Eine intime Situation entsteht, die die Betrachter*innen mit den scheinbar vertrauten Gesten des Paares alleine lässt, ihnen Einblicke in Haushalt, Gespräche, Partys und Abendessen gibt. Durch das Label des Institutes für Falsifikate, das an der Tür des Galerieraumes angebracht ist, wird jedoch schon vorher deutlich, dass das im Raum positionierte Objekt und die darin eingebetteten Fotografien künstlerische Arbeiten sind.
©INSTITUT FÜR FALSIFIKATE